Das war „Spritz! Klatsch! Glibber! Zeich(n)en der Gewalt – Wunden in Comics“

Es gibt nicht viele Anlässe, zu denen wir die Q-thek im Erdgeschoss der Zentralbibliothek mit Sichtschutz verhängen – das hat dann entweder etwas mit Computerspielen zu tun… oder mit Mark Benecke.

So auch neulich zu „Spritz! Klatsch! Glibber!“. Große, über allem schwebende Frage:

Wie realistisch sieht das eigentlich aus, wenn in Comics brutale Gewalt angewendet wird?

Dazu brauchten wir natürlich erst einmal die fiktiven Abbilder der Realität – inklusive eigener Ästhetik und Ausdrucksgeschichte. Tillmann Courth ist Fachmann für Comic-Geschichte und präsentierte rund 200 Gästen den Rundumschlag, was Gemetzel betrifft: Den Einstieg macht ein Beispiel aus der Kunstgeschichte. Pieter Bruegel der Ältere legt mit seinem Triumph des Todes schon ein ordentliches Maß an Brutalität vor – ebenso wie mancherlei Darstellung aus der christlichen Kunst.

Comics erreichen ein ähnliches Niveau erst ab den 1940er Jahren: bloody pulps zeigen Kriminalgeschichten, Messer- und Pistolenmorde und Beziehungsdramen mit ungebührlichem Ausgang. So zum Beispiel die hedonistische Ehefrau, die das hart verdiente Geld ihres psychopathischen Mannes für Pralinen ausgibt – bis diesem die Hutschnur platzt und er seine Frau in mundgerechte Häppchen zerstückelt. Haarsträubend anachronistisch!

Und so geht es munter durch die 50er Jahre, wir kochen Knochen, spalten Schädel und nutzen Gliedmaßen als Baseballschläger – bis es den Comicverlegern selbst zu bunt wird: Ab 1955 gibt es den „Comics Code“, eine maßregelnde Selbstzensur, um staatlicher Zensur zuvorzukommen. „Das hat die Comic-Szene auf Jahrzehnte hin infantilisiert“, sagt Courth.

Harte Gewalt wandert in den Untergrund, um später als „Magazin“ neu aufgelegt zu werden – diese leicht teureren Hefte fielen nicht in den Bereich der Selbstzensur. Durch die 60er und 70er geleiten uns Robert Crumb und jede Menge Horrorgeschichten. Und heute? Hideshi Hino dient als Paradebeispiel der Manga-Gewalt, während der amerikanische Markt Phänomene wie Kick-Ass oder Crossed hervorbringt. Verglichen mit früher ist es krasser, plakativer – und laut Courth purer, reiner Effekt. Tillmanns souverän-komischer Vortrag lässt sich als ausführlicher Essay auf seiner Webseite nachlesen.

Und in echt?

Auftritt Dr. Doom alias Marky Mark alias Dr. Mark Benecke. Das Spektakuläre sind hier natürlich einerseits die Fotos, die er im Gepäck hat: Echte tote Menschen aus echten Kriminalfällen. Andererseits beeindruckt vielleicht noch mehr die nüchterne, wissenschaftliche Distanz, die er seiner Arbeit entgegenbringt. Anders als zeitgenössische Comics geht es Mark nie um Effekte und Schauwerte – vielmehr räumt er mit Vorurteilen auf. Etwa mit der Fehleinschätzung, dass Serienmörder stets geisteskranke „Monster“ sein müssen.

Ohnehin scheint Benecke so eine Art stark tätowierter Universalgelehrter zu sein. Exkurse über Veganismus und Religion, Ausflüge zu body farms oder Sozialkritik des Mittelalters – bei Benecke geht es nie nur um eine Sache. Alles kreist um das Thema, denn alles hängt irgendwie mit allem zusammen (willkommen in der Netzwerkgesellschaft).

Der Vollständigkeit halber seien die streng körperlichen, entzauberten Mythen hier zwar erwähnt, aber nicht ausgeführt. (Die Veranstaltung war nicht umsonst ab 18 Jahren.)

  • Erstens: Erhängte sehen sehr selten so aus, wie Medien es uns glauben machen.
  • Zweitens: Wird jemandem buchstäblich das Gehirn weggeschossen, gibt es sehr verschiedene (und sehr verstörende) Formen als Ergebnis.
  • Drittens: Das Zerteilen von Leichen geschieht mal aus Pragmatismus, mal aufgrund anerzogener Kultur (z.B. übertragene und sexualisierte Bauernhof-Erfahrungen von Tierschlachtungen), selten aus Spaß an der Freude.
  • Viertens, Bonusrunde: Katzen und Hunde verspeisen ihre verstorbenen Frauchen und Herrchen – aber erst, wenn’s sonst nix mehr zu Beißen gibt. Und auch dann nur ausgewählte Körperteile.

Lecker, oder? Wer Lust auf mehr Benecke hat, findet seine Tourdaten online.

Das war alles sehr schock- und lehrreich. Vielen Dank an Tillmann, Mark, das Verkaufsduo von Kwimbi und natürlich unsere nervenstarken Gäste! (Und danke, dass wir die Fotos von Marks Facebook-Seite hier zweitverwerten dürfen.)

geeks@cologne legt nun eine Sommerpause ein. Genießt die warmen Tage und die Sonne! Unsere nächste Veranstaltung ist ein neuer Science Slam und ist für den 18. Oktober 2018 geplant!

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